OLG Hamm: Dauer der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung | Rechtsanwalt König in Göttingen für Strafrecht Arbeitsrecht Sozialrecht Ausländerrecht Rechtsanwalt in Göttingen für Strafrecht Arbeitsrecht Sozialrecht Ausländerrecht

23rd Aug 2013

Das OLG Hamm hat in einer Bußgeldsache entschieden, dass eine bußgeldrechtliche Ahndung wegen einer Abstandsunterschreitung – im Sinne eines "nicht nur vorübergehenden Verstoßes" – jedenfalls dann nicht zu beanstanden ist, wenn die vorwerfbare Dauer der Abstandsunterschreitung mindestens 3 Sekunden oder alternativ die Strecke der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung mindestens 140 m betragen hat.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen in erster Instanz wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands zu einer Geldbuße von 180,00 EUR verurteilt. Der Betroffene fuhr auf der BAB 1. Im Rahmen einer polizeilichen Verkehrsüberwachung wurde für sein Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 131 km/h ein Sicherheitsabstand von nur 26 m zum Vorausfahrenden gemessen. Die Messstrecke betrug etwa 123 m.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Beschwerde bezweckte der Betroffene zum Zwecke der Rechtsfortbildung die obergerichtliche Klärung über die Mindestdauer der Abstandsunterschreitung bzw. die Mindestlänge.

Das OLG Hamm ließ die Rechtsbeschwerde zur Rechtsfortbildung zu, um eine einheitliche Rechtssprechung zu sichern.

Die zulässige Rechtsbeschwerde wies das Gericht als unbegründet zurück.

Es war durch das OLG nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht die Abstandsunterschreitung mit Bußgeld ahndet, wenn diese mindestens 3 Sekunden andauert. Für die Ahndung ist zunächst erforderlich, dass die Unterschreitung nicht nur ganz vorübergehend ist. Die Beurteilung, wann diese vorliegt, wird in der Rechtsprechung der Obergerichte unterschiedlich beurteilt. Je nach Gericht wird von einer Strecke von 250-300 m ausgegangen, andere lassen jedenfalls 150 m ausreichen, wenn die Messung in einem standardisierten Messverfahren durchgeführt wurde, ein kurz zuvor erfolgter Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs ausgeschlossen werden kann und die Dauer der abstandsunterschreitenden Fahr mehr als 3 Sekunden betrug.

"Bei der Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist, steht für den Senat die zeitliche Komponente im Vordergrund. Schon die Formulierung in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes legt dies nahe. Auch erscheint es naheliegender, sich der zeitlichen Komponente zum Ausschluss eines nur kurzfristigen – und damit aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht ahndungswürdigen – Versagens des Fahrzeugführers zu bedienen. Der Senat hält jedenfalls eine Abstandsunterschreitung für die Dauer von mehr als 3 Sekunden – wie hier – für kein kurzfristiges Versagen des Fahrzeugführers mehr, wenn kurz zuvor erfolgte abstandsverkürzende, vom Betroffenen nicht zu vertretende, Ereignisse (Abbremsen des vorausfahrendes Fahrzeugs, abstandsverkürzender Fahrspurwechsel eines Dritten, auf die der Betroffene noch keine Möglichkeit hatte zu reagieren) – wie hier – ausgeschlossen werden können (in diese Richtung wohl auch: OLG Koblenz a.a.O.). Auch unter angemessener Berücksichtigung üblicher Reaktionszeiten ist von jedem Betroffenen noch innerhalb einer Dauer der Abstandsunterschreitung von drei Sekunden ohne Dritteinwirkung einerseits das Bewusstsein zu verlangen, dass er handeln und den Sicherheitsabstand vergrößern muss, sowie andererseits auch eine entsprechende Umsetzung abstandsvergrößernder Maßnahmen. Jedenfalls ist eine länger andauernde Gefährdung des Straßenverkehrs durch eine bußgeldbewehrte und damit in jedem Fall erhebliche Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstandes nicht hinnehmbar. Fährt der Betroffene trotzdem mit einem unzulässig geringen Abstand weiter hinter einem anderen Fahrzeug her, so kann hier von einem nur vorübergehenden Pflichtenverstoß nicht mehr die Rede sein.

Um allerdings besonders schnell fahrende Fahrzeugführer nicht zu privilegieren, hält der Senat aber auch eine Abstandsunterschreitung auf einer Strecke von jedenfalls 140 m unter den o.g. weiteren Voraussetzungen (Ausschluss eines abstandsverkürzenden Ereignisses, auf das der Betroffene noch nicht reagieren konnte, bis zum Beginn der Messstrecke) für nicht nur vorübergehend. Das beruht auf der Erwägung, dass derjenige, der die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h deutlich überschreitet und damit die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs deutlich erhöht, wegen der erhöhten durch ihn begründeten Gefahr bei einer Abstandsunterschreitung auch schneller wieder den erforderlichen Mindestabstand herstellen muss. Eine solche – auch haftungsrechtlich relevante – Überschreitung der Richtgeschwindigkeit wird jedenfalls ab einer Geschwindigkeit von 160 km/h angenommen (OLG Hamm NJW-RR 2011, 464 m.w.N.). Bei dieser Geschwindigkeit legt ein Fahrzeug in 3 Sekunden etwa 133,3 m zurück. Großzügig zugunsten des Betroffenen aufgerundet ergeben sich die o.g. 140 m."

OLG Hamm · Beschluss vom 9. Juli 2013 · Az. 1 RBs 78/13

 

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