Anrechnung der russischen Rente als Einkommen auf Sozialhilfe | Rechtsanwalt König in Göttingen für Strafrecht Arbeitsrecht Sozialrecht Ausländerrecht Rechtsanwalt in Göttingen für Strafrecht Arbeitsrecht Sozialrecht Ausländerrecht

14th Apr 2015

Viele Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion und aus der Russischen Föderation haben Anspruch auf die russische Altersrente. Doch welchen Einfluss hat der Bezug der russischen Rente, wenn man Sozialhilfe (SGB XII) erhält?

Die anwaltliche Praxis zeigt, dass viele Menschen davon ausgehen, dass das deutsche Sozialrecht die russische Rente nicht regelt, so dass oft versäumt wird, den Bezug der russischen Rente den Behörden (wie dem Jobcenter, Sozialamt, Krankenversicherung oder der Rentenversicherung) zu melden. Dabei können sich diese Personen Rückforderungsansprüchen der Sozialträger aussetzen. Das Sozialrecht unterscheidet nicht, ob die Rente von der Deutschen Rentenversicherung bezogen wird oder vom Russischen Rentenfonds: Ist die ausländische Altersrente ihrer Art nach wie die deutsche Altersrente, so wird sie auch so behandelt. Entscheidende Merkmale sind unter anderem das Erreichen eines bestimmten Rentenalters und Erfüllen von Beitragszeiten. Auch die russische Altersarbeitsrente wird nur dann bezahlt, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat und mindestens fünf Beitragsjahre erfüllt. Diese Regelungen sind mit den Voraussetzungen der deutschen Altersarbeitsrente vergleichbar, daher wird die russische Rente sozialrechtlich wie die deutsche Altersarbeitsrente behandelt.

Nur gewährt das russische Sozialrecht auch weitere Renten. Dazu gehört zum Beispiel die Invalidenrente für Invaliden des Großen Vaterländischen Krieges oder für Invaliden, die mit dem Abzeichen „Einwohner der Blockadestadt Leningrad“ geehrt werden. Hinzu kommen Leistungen, die aufgrund des Erlasses des Präsidenten der Russischen Föderation vom 30.03.2005 „Über Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Situation einiger Kategorien von Bürgern der Russischen Föderation im Zusammenhang mit dem 60. Jahrestages des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg 1941 bis 1945“ gewährt werden. Diese Leistungen werden von der russischen Rentenversicherung gezahlt und werden als sog. „DEMO-Renten“ bezeichnet.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte sich in zweiter Instanz mit der Frage zu beschäftigen, wie Rentenleistungen aus Russland auf die Sozialhilfe angerechnet werden dürfen. In dem Fall ging es um zwei ältere Menschen, die als Kontingentflüchtlinge in Deutschland leben und neben der Sozialhilfe Renten aus Russland erhalten.

In der ersten Instanz hatten die Kläger noch Erfolg. Das Sozialgericht bewertete die DEMO-Leistungen als dem Grunde und der Höhe nach mit den Grundrenten nach dem BVG vergleichbare Leistungen. Diese Leistungen seien danach anrechnungsfrei. Gegen dieses Urteil ging der Leistungsträger in Berufung, weil er der Ansicht war, dass die DEMO-Leistungen mit der Grundrente nach dem BVG nicht vergleichbar sei.

Das Landessozialgericht hatte somit die Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu prüfen. Um zu klären, wie die DEMO-Leistungen aus der sozialrechtlichen Sicht zu bewerten sind, wurde von dem Landessozialgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Sachverständigengutachten kam zum Schluss, dass für die Gewährung dieser DEMO-Leistungen eine Kausalität zwischen der Invalidität und dem „schädigenden Ereignis“ (dass die Invalidität auf die im Großen Vaterländischen Krieg erlittenen Verletzungen zurückzuführen sind) nicht erforderlich sei. Für den Bezug der Invalidenrente reiche aus, dass betroffene Personen zum Personenkreis der Teilnehmer des Großen Vaterländischen Krieges bzw. der Träger des Zeichens „Überlebender der Leningrader Blockade“ zugehören sowie bei ihnen zusätzlich die Invalidität der Gruppe I, II, oder III besteht.

Das LSG beschäftigte sich sehr ausführlich mit der Frage der Vergleichbarkeit mit der Grundrente nach BVG und lehnte diese ab. Nach der Ansicht der Richter stellen diese russischen Renten anrechenbares Einkommen dar. Denn der Anspruch auf die Grundrente nach BVG setzt eine doppelte Kausalität voraus: zum einen einen Ursachenzusammenhang zwischen beispielsweise dem militärischen Dienst und dem schädigenden Vorgang, zum anderen einen Ursachenzusammenhang zwischen der erlittenen Schädigung und deren Folgen in gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Die russische Invalidenrente setzt dagegen lediglich voraus, dass der Leistungsempfänger einerseits zum besonders benannten Personenkreis (Kriegsteilnehmer bzw. Blockadeopfer) gehört und andererseits bei ihm eine Invalidität anerkannt ist. Nicht Voraussetzung ist hingegen, dass die Invalidität gerade durch die benannten Ereignisse im Zweiten Weltkrieg verursacht wurde, oder dass sie eine Einschränkung der Lebensfunktionen mit sich bringt. Den Leistungsvoraussetzungen für eine Invalidenrente nach russischem Recht fehlt das nach deutschem Recht zwingende Erfordernis eines doppelten Kausalzusammenhangs zwischen erlittener Schädigung und Invalidität einerseits sowie zwischen Schädigung und gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen andererseits. Eine im Zweiten Weltkrieg erlittene Schädigung wird für den benannten Personenkreis vielmehr bereits auf Grund einer typisierenden Betrachtung und wegen eines erhöhten Risikos von Invalidität generell entschädigt. So würde nach russischem Recht eine Invalidenrente etwa auch dann gezahlt, wenn die erlittene Schädigung im Zweiten Weltkrieg folgenlos ausgeheilt und eine Invalidität erst später hinzugetreten wäre. Dann aber fehlt es nach Funktion und Struktur an einer Vergleichbarkeit zwischen der russischen und der deutschen Rente; denn das deutsche Recht schränkt, anders als das russische, durch strengere Anforderungen an die Kausalität den Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich weiter ein als das russische.

Privilegierungen, die einer Anrechnung dieser Rente als Einkommen auf die Sozialhilfe entgegenstehen, hat das Gericht verneint.

Ein weiteres Detail hat das Urteil auch, wie die typische quartalsweise Zahlung der Rente zu behandeln ist. Den Richtern nach ist diese auf drei Monate aufzuteilen, wobei auch der Monat, in dem die Rente überwiesen wird, zu berücksichtigen ist. Das hätte zur Folge, dass das Sozialamt nur einen niedrigeren Betrag überweist, obwohl die Rentenzahlung ggf. in der zweiten Monatshälfte erfolgt, so dass der Lebensbedarf bis dahin nicht gedeckt ist. Hier empfiehlt es sich mit dem Sozialamt in Verbindung zu setzen, um eine praxisnahe Lösung zu finden. Viele Sozialämter zahlen die Sozialhilfe ohne Anrechnung in voller Höhe aus, während der Leistungsberechtigte nach dem Erhalt der Rente diese in voller Höhe an das Sozialamt zurückzahlt.

Die Entscheidung des LSG ist nichts rechtskräftig und ist beim Bundessozialgericht unter B 8 SO 3/15 R anhängig

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.12.2014 – L 20 SO 254/12

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